Gemeinschaft

Welche Rolle spielt »Gemeinschaft« bei den Freimaurern? Über den brüderlichen Geist der Freimaurerlogen wurde viel geschrieben. In der Tat ist die Gemeinschaft ein zentraler Teil der Freimaurerei, wenn auch nicht der wichtigste.

Entscheidend ist, dass wir uns in unseren Logen um echte Toleranz bemühen. Unter Toleranz verstehen wir dabei nicht nur die bloße Duldung, sondern eine wirkliche Anerkennung des Gegenübers, die auf der Einsicht beruht, dass andere nicht nur anders sind, sondern dass sie als Menschen ein Recht haben, anders zu sein. In diesem flexiblen Miteinander abgegrenzter und doch offener Identitäten besteht der soziale und kulturelle Reichtum unserer freimaurerischen Gemeinschaft.


Für den Freimaurer Rudyard Kipling (1865-1936, Autor u. a. von »Das Dschungelbuch«) spielte die Freimaurerei eine große Rolle. Sie beeinflusste sein Werk nachhaltig. Seine Mutterloge war die Loge »Hope and Perseverance« in Lahore, Indien. Kipling wurde dort am 5. April 1886 zum Freimaurer aufgenommen. Er war damals 20 Jahre alt. Achteinhalb Jahre später verarbeitete er dichterisch den Geist brüderlicher Gemeinschaft, der dort gelebt wurde.

Laut der Kipling Society schrieb Kipling das Gedicht an nur einem einzigen Tag, nämlich am 29. Oktober 1894, während Arthur Conan Doyle (ebenfalls Freimauer) bei den Kiplings in Vermont zu Gast war. Weitere Hintergründe hier bei der Kipling Society (englisch).

Meine Mutterloge 

Gedicht von Rudyard Kipling
– frei übersetzt nach Oskar Posner –

Bezirkswachtmeister Rundle,
Und BeazIey, vom Bahnerverband,
Gefangenenaufseher Donkin,
Und Achmann, der Intendant.
Und Blake, der Oberschaffner,
(War Meister im doppelten Sinn),
Saß mit dem Krämer Eduljee
Im selben Laden drin.

Draußen: »Herr!« und »Wachtmeister!«
Ein dienstbeflissen Gesicht!
Doch drinnen nur: »Mein Bruder!«
Mit Rang- und Titelverzicht.
Die Waage und dazu der Winkel,
Macht alles Ungleiche gleich.
Und ich war zweiter Schaffner
In jener Loge Bereich.

Der Rechnungsführer Bola,
Jud‘ Saul, der Aden entstammt,
Der Zeichner Din Mohammad,
Vom Feldvermessungsamt,
Und Babu Chuckerbutty,
Und Amir Singh, der Sikh,
Und Schuppenverwalter Castro,
ein römischer Katholik.

lm Monat eine Arbeit,
Dann saß man rauchend beisamm.
Ein festlich Mahl gab’s immer,
Wenn einer Abschied nahm.
Dann saßen wir und sprachen
Von des einen Gottes Land,
Und jeder sprach von dem Seinen,
So wie er ihn verstand.

Ein jeder kam zu Worte,
Und keiner brach den Bann,
Bis mit dem Ruf der Vögel
Der neue Tag begann.
Ergötzlich war’s. Wir gingen
Und tauschten noch zu Haus‘
Mit Gott, Mahomet und Shiva
Im Bett die Gedanken aus.


Wie oft in des Königs Diensten
Ermattete mein Fuß!
Wie oft in fremde Logen
Bracht‘ ich meiner Loge Gruß!
Vom Bergland hoch im Norden
Ans Meer, bis Singapur.
Ich wollt‘, ich stände wieder
Vor meiner Mutter Tür.

Unser Tempel war eigentlich dürftig,
Die Loge ein kahler Bau.
Doch unsere Alten Pflichten
Die nahmen wir haargenau.
Und schaue ich träumend rückwärts,
Kommt’s immer mir in den Sinn:
Wir lebten vielleicht wie die Heiden
Und doch war Gott mitten drin.


Ich wollt‘, ich sähe sie wieder,
Die Brüder, weiß und braun.
Ich wollt‘, ich könnte noch einmal
Die Mutterloge schau’n.
Den schläfrigen Tempelhüter
Und das alte Logenheim!
Ich wollt‘, ich kehrte in Ehren
Zu meiner Mutter heim!

Draußen: »Herr!« und »Wachtmeister!«
Ein dienstbeflissen Gesicht!
Doch drinnen nur: »Mein Bruder!«
Mit Rang- und Titelverzicht.
Die Waage und dazu der Winkel,
Macht alles Ungleiche gleich.
Und ich war zweiter Schaffner
In jener Loge Bereich.


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